gehalten am 20. Februar 2020 bei den Kundgebungen in Berlin, Hamburg und Köln
Wir senden den Betroffenen des Anschlags von Hanau, ihren Angehörigen, FreundInnen und Bekannten unsere Solidarität und unser Mitgefühl. Heute um 18 Uhr findet in Hanau eine Trauerfeier statt und an vielen Orten in Deutschland demonstrieren gerade Menschen aus Solidarität mit den Betroffenen des rechten Terrors, gegen die Neonazi-Mörder und gegen ihre geistigen Vorbereiter und Verbündeten. Die Familien der Toten und Verletzten haben sich gewünscht, dass heute Abend viele Menschen auf die Straßen gehen und ihrer Toten gedenken.
Soweit wir bisher wissen, heißen die Opfer von Hanau:
Ferhat Ünvar
Gökhan Gültekin
Mercedes Kierpacz
Kalojan Welkow
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Said Nesar El Hashemi
Vili Viorel Păun
Hamza Kurtović
neuntes Todesopfer (Identität unbekannt)
zehntes Todesopfer (Frau R.)
Sie kommen aus polnischen, türkischen, kurdischen, bosnischen und afghanischen Familien. Für die Nazis gehören sie nicht hierher. Für uns schon. Alle, die hier sind, sind von hier! Und bleiben hier! Heute und morgen und in aller Zukunft. Migration ist unumkehrbar! Und das Problem heißt nicht Migration. Das Problem heißt Rassismus!
Alle diese Taten richten sich gegen die Gesellschaft der Vielen
Wieder einmal müssen wir binnen kurzer Zeit zu einem traurigen Anlass auf die Straße gehen. Das letzte Jahr endete mit dem Anschlag in Halle, das neue beginnt mit dem kaltblütigen Massaker in Hanau.
Und wieder einmal zeigt sich: Rassismus und Antisemitismus sind in der Neonazi-Ideologie der selbsternannten Übermenschen untrennbar verbunden. Der Angriff auf migrantische Läden, steht für Hass auf alles Andere, ein Hass, der migrantisches, Schwarzes und jüdisches Leben überall dort bedroht, wo es öffentlich sichtbar wird. Die Morde in Hanau in und vor der Arena Bar, und der Anschlag von Halle, sie erinnern uns auch an die rassistischen NSU-Morde. Sie erinnern uns an das Attentat am Münchner Olympia Einkaufszentraum, an den Mord an Burak Bektash und an Luke Holland – und auch an die Anschlagsserie auf linke Menschen und Läden in Neukölln.
Alle diese Taten richten sich gegen die Gesellschaft der Vielen. Sie richten sich gegen uns. Wir sind Migrant*innen, Antifaschist_innen, Geflüchtete, wir sind Schwarze Deutsche, Feminist*innen, Jüd_innen, wir sind Romnja und Queers. Wir wissen, was es heißt, das eigene Leben und die eigene Existenz zu verteidigen – für viele von uns ist es nicht das erste Mal. Es ist nicht das erste Mal und auch deshalb wollen wir nichts mehr hören von Einzeltätern und wir wollen auch nichts mehr hören von Hufeisentheorien. Es gibt keine rechten „Einzeltäter“. Die Täter von Halle, Kassel und Hanau wissen sich als Teil eines weltweiten „Netzwerks von Kameraden“, so hat das schon der NSU formuliert. Das milde Urteil im NSU-Prozess war ein Fanal für die Nazis in diesem Land loszuschlagen. Lübcke, Chemnitz, Halle, Hanau, Prepper, der Harte Kern, Combat 18, Reichsbürger und toxische Kriegermännlichkeiten wähnen sich im Endkampf. Spätestens nach den Hetzjagden von Chemnitz und den Wahlerfolgen der AFD wähnt sich dieses Netzwerk in der Offensive.
Rassismus und Antisemitismus zeigt sich auch darin, dass den Betroffenen nicht zugehört wird
Bernd Höcke hat am Samstag zum Umsturz aufgerufen, der Mörder von Hanau ist gestern in sein Auto gestiegen und ist dem Aufruf gefolgt. Doch der Täter ist in seinem Wahn nicht allein. Rassismus und Antisemitismus sind in der deutschen Gesellschaft fest verankert: als Verschwörungstheorien, als Wunsch nach einem „Schlussstrich“, als Auslagerung von Antisemitismus als Problem von Zugewanderten und von Rassismus als Problem von „extremen Rändern“, als Verklärung und Verleugnung der Verstrickung von Eltern und Großeltern in den Nationalsozialismus. Rassismus heißt aber auch als Abschiebehaft, Tote im Mittelmeer und Kriminalisierung von Seenotrettung und von Antifaschismus.
Rassismus und Antisemitismus zeigt sich auch darin, dass den Betroffenen nicht zugehört wird und sie nicht geschützt werden. Das wissen wir von den NSU-Morden. Wir haben gelernt: Auf Staatsanwaltschaften und auf Gerichte, die, wie im NSU-Prozess, zu Nazinetzwerken und zu institutionellem Rassismus in der Polizei schweigen, können wir uns nicht verlassen. Auf den Verfassungsschutz erst recht nicht. Wir fordern, dass er endlich aufgelöst wird! Wir fordern auch:
Wir haben all das schon oft gefordert. Auch deshalb: Es reicht uns! Wir haben kein Vertrauen mehr in Politker*innen, die ihre Fassungslosigkeit äußern und Landtagssitzungen absagen, aber nicht endlich konsequent gegen rechten Terror vorgehen. Auch viele Medien machen weiter, als hätte es den NSU-Komplex nicht gegeben. Der Focus schrieb heute morgen von „Shisha-Morden“. Es reicht!
Rassismus ist der Zement der deutschen Gesellschaft. Doch dieser Zement bröckelt.
Wenn Angela Merkel jetzt von Rassismus „als Gift in unserer Gesellschaft“ spricht, dann ist das leider nur die halbe Wahrheit: Rassismus ist der Zement der deutschen Gesellschaft. Doch dieser Zement bröckelt. Warum bröckelt er? Weil Migrant*innen in dieses Land kommen, seit Jahrzehnten. Sie behaupten sich hier gegen alle Widerstände und bauen sich ein gutes Leben auf. Sie sorgen dafür, dass starren Vorstellung von Volk eine lebendige lebendige Gesellschaft der Vielen entgegensteht. Dafür, dass Heymat aus konkreten Beziehungen besteht und nicht aus mythischen Wahnvorstellungen. Der rassistische Zement bröckelt auch wegen dem Einsatz der Betroffenen und unserer Solidarität. Es waren die Betroffene und Angehörigen der NSU-Morde, die 2006 in Kassel auf die Straße gingen und die bundesdeutsche Gesellschaft auf die wahren Täter aufmerksam machten, als staatliche Behörden und Politiker sich noch ahnungslos gaben. Ihr Einsatz gegen Verleumdung und Vertuschung hat uns viel gelehrt und die Augen geöffnet.
Heute zeigen wir unsere Solidarität mit den Angehörigen der Opfer und allen Menschen, die von Rassismus bedroht werden. Am Samstag bitten wir Euch alle nach Hanau zu fahren, dort findet um 14 Uhr eine bundesweite Solidaritätsdemonstration statt. Ob in Hanau, Halle, Chemnitz oder Berlin: Wir müssen und werden die Gesellschaft der Vielen verteidigen. Migrantifa! Yalla Yalla Antifascista!